Herzdenken

Vielen Menschen ist bewusst, dass sie in ihrem Leben geführt sind. Sie wissen um ihre innere Stimme und dass 8s gut ist. auf sie zu hören. Doch zugleich gibt es In diesem Bereich auch noch viel Verwirrung und Unklarheit. Was tun, wenn der Bauch etwas anderes sagt als der Kopf? Gibt es einen Unterschied zwischen der Weisheit unseres Herzens und der Intelligenz unseres Bauchgefühls? Hat die Ratio eigentlich gar nichts mehr zu sagen oder darf sie ab und zu auch mal ein Wörtchen mitreden? Und warum liegt die Intuition manchmal doch auch so richtig daneben? Diese Fragen zeigen. dass wir das ganze Thema innere Führung noch nicht wirklich klar haben.

Unser inneres Navigationssystem

Die innere Führung funktioniert über unser Denken, jedoch nicht rein über das rationale Denken, sondern über ganzheitliches oder transrationales Denken. Dieses schließt Denkweisen wie die Intuition, die Inspiration und die Herzintelligenz mit ein, die einer ganz eigenen Logik folgen und Zugriff auf andere Informationen haben als die Ratio. Ich spreche hier gerne von den fünf Disziplinen des Denkens, die in der Grafik im Überblick dargestellt sind.

Die Denkprozesse, die auf der Vertikalen angesiedelt sind — die Inspiration, die Herzintelligenz und die Intuition — erfolgen spontan und aus dem Moment heraus. Sie sind komplett nicht-linear. Diese Disziplinen sind in unserem Kulturkreis bei nahezu allen Menschen stark unterentwickelt. Das liegt vor allem an der Überbetonung der Ratio, die vom frühesten Kindesalter an bei uns stark gefördert wird, ohne die Auswirkungen auf andere Disziplinen zu berücksichtigen. Diese fehlende Entwicklung führt zu Orientierungslosigkeit, Verwirrung und fehlendem Sinnerleben.

Die auf der Horizontalen angesiedelten Disziplinen — die Ratio und die Absicht — verknüpfen die Informationen und Impulse der vertikalen Disziplinen mit Zeit und Raum. Während Inspiration, Intuition und Herzintelligenz also komplett nicht-linear sind, sind die Ratio und die Absicht linear. Die Ratio ist sehr gut darin, die Logistik, die Machbarkeit und die konkrete Umsetzung zu handhaben.Die Absicht hingegen richtet uns klar aus, ohne uns in allzu enge Zielvorstellungen oder gar Fünfjahrespläne zu verstricken.

(Grafik)

Damit unser inneres Navi reibungslos funktioniert, bedarf es nicht nur jeder einzelnen Disziplin. Erst im Zusammenspiel der fünf Denkweisen offenbart sich unsere innere Führung. Es ist der Abgleich zwischen Inspiration und Intuition, der Handlungsimpulse mit den nötigen Informationen versorgt, und umgekehrt. Herzintelligenz und Ratio sind wichtige Prüfinstanzen, die sich optimal ergänzen. Sie gleichen sich aus und klopfen Entscheidungen nicht nur auf Machbarkeit, sondern auch auf Sinnhaftigkeit ab. Die Absicht hat dann die Aufgabe, die Ergebnisse unserer Denkprozesse so auszurichten, dass sie in der Welt wirksam werden.

Merkmale transrationalen Denkens

Wer Macht abgeben oder teilen muss, wird immer mit der Angst vor Kontrollverlust konfrontiert. Das geht unserem Verstand nicht anders, Da das schwer auszuhalten ist, kommt es immer wieder zu Versuchen des Verstandes, transrationale Denkweisen zu imitieren, Er versucht dann, Ängste, Projektionen, Interpretationen oder Wunschträume als waschechte Intuition oder Inspiration zu verkleiden. Das ist sicher nicht böse gemeint, sondern eher ein Versuch, irgendwie nützlich zu sein. Und es ist weit verbreitet unter Menschen, die beginnen, sich für transrationales Denken zu öffnen.

Woran also erkennen wir echtes transrationales Denken? Worin unterscheidet es sich von jenen womöglich gut gemeinten Imitaten, die der Verstand uns immer wieder anbietet? Unten habe ich fünf Grundmerkmale aufgelistet, die alle transrationalen Denkdisziplinen weitgehend gemeinsam haben und die diese von der Ratio unterscheiden.

1. Nicht-linear
Der rationale Verstand fühlt sich sicher, wenn Gedanken logisch aufeinander aufbauen. Er denkt in Gedankenketten, wobei eines auf das andere folgt. Nicht-Linearität ist beunruhigend, weil sie genau das, was unserem Verstand Sicherheit gibt, schmerzlich vermissen lässt. Hier folgt nicht eines aufs andere, es ergibt sich nicht eines aus dem anderen, es taucht vielmehr etwas ziemlich unvermittelt und unverbunden auf. Es ist nicht assoziativ. Wenn jemand fragt, wie man auf das Thema kam, lässt sich diese Frage nicht für andere nachvollziehbar beantworten. Ich sage dann gerne: „Es kam mir gerade”. Was ich damit meine, ist: Es ist plötzlich in mir aufgetaucht, ohne nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem, was mein rationaler Verstand zu dem momentanen Gesprächsthema denkt, oder sogar ohne Zusammenhang mit dem Thema selbst.

2. Rational nur begrenzt nachvollziehbar
Heute weiß ich, dass Denkinhalte, die meinen Verstand irritieren, besondere Aufmerksamkeit verdient haben. Gerade dieses Merkmal, das früher dazu führte, dass diese Inhalte von mir nicht ernst genommen wurden, ist also eines der zentralen Kriterien, um transrationale Denkinhalte zu erkennen, Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder Blödsinn, der einem ins Hirn flattert, als Geniestreich zu werten ist, Doch es ist ein Merkmal, das mich heute einem Gedanken Aufmerksamkeit schenken lässt.

3. Nonverbal
Transrationales Denken ist jenseits von Worten. Es spielt sich auf einer abstrakten Ebene ab, die erst in einem zweiten Schritt vom rationalen Verstand ausformuliert wird. Und nicht immer wird sie in Worten formuliert, Wenn es sich um eine Inspiration für ein Musikstück oder eine Choreographie handelt, wird diese in Tönen, in Bewegungen, in Abläufen formuliert. Oder bei einem Kochrezept in Geschmacksnuancen, in Zutaten, in Maßeinheiten. Doch der ursprüngliche Denkinhalt ist nonverbal, abstrakt, eher wie eine Gestalt oder ein Gebilde.

4. Schlicht, subtil, höflich
Ein besonders markantes und faszinierendes Merkmal transrationaler Denkinhalte ist ihre Schlichtheit. Sie zeigen sich auf einmal (nicht-linear) und sind in ihrem Wesen einfach und klar. Das bedeutet nicht, dass sie immer entsprechend einfach zu formulieren sind. Besonders wenn es sich um Inspiration handelt, merken wir oft erst beim zweiten Schritt, bei dem wir versuchen, den Inhalten Form zu geben, wie viele Informationen in der scheinbar schlichten Gestalt stecken, Doch die erste Gestalt ist schlicht, subtil und höflich.

5. Beharrlich
Das letzte Merkmal in meiner Auflistung ist das der Beharrlichkeit und Beständigkeit. Ein echter und relevanter transrationaler Denkinhalt taucht zwar ganz unvermittelt auf, scheinbar aus dem Nichts, doch er verschwindet nicht einfach wieder so sang- und klanglos, wie er gekommen ist.

Herzdenken ist ganzheitlich

Herzdenken ist ganzheitliches Denken. Es offenbart sich über das Spüren und führt uns mit großer Zuverlässigkeit, wenn wir uns ihm anvertrauen. Der rationale Verstand ist und bleibt ein treuer Diener, wie Albert Einstein es formulierte. Doch der intuitive Verstand, der im Herzen zentriert ist, ist ein heiliges Geschenk. Um uns diesem zu öffnen, braucht es Stille und Gewahrsein. Der Verstand muss lernen, dass die Zeit seiner Alleinherrschaft vorbei ist, er jedoch mit seinen Fähigkeiten weiterhin dringend gebraucht wird. Er kann die Ideen der Inspiration, die Impulse der Intuition und die Weisheit des Herzens in das konkret Machbare übersetzen. Doch nur die Gesamtheit unserer Intelligenz weiß, was unser ganz eigener Platz in der Welt ist, Nur sie kann uns auf unserem Lebensweg führen und uns darin begleiten, unser ureigenes Potenzial zu entfalten. Und dieses wird heute mehr denn je gebraucht, von jedem Einzelnen, für die Heilung unserer Welt.

Vivian Dittmar ist Autorin mehrerer Bücher zu den Themen Gefühle und Beziehungen. In ihrem neuen Buch ‚Das innere Navi‘ befasst sie sich mit transrationalen Denkweisen, zu denen auch die Intuition zählt. Durch ihre Bücher, Vorträge, Seminare und Online-Angebote engagiert sie sich seit zwei Jahrzehnten für eine holistische Entwicklung von Mensch, Gesellschaft, Wirtschaft und Bewusstsein. www.viviandittmar.net

Zum Weiterlesen:
Vivian Dittmar, Inneres Navi, Kailash Verlag, 17,50 Euro

Vorheriger Beitrag
Innere Navigation
Nächster Beitrag
Über das Bauchgefühl
Menü